Zwischen Verstehen und Rechtfertigung – Wenn du dich ständig erklären willst, obwohl du’s nicht willst

Der Widerspruch: Ich will Nähe – und muss mich ständig erklären

Ich habe oft das Gefühl, mich ständig erklären zu müssen.
Für mein Verhalten. Für meine Gedanken. Für meine Rückzüge.
Und obwohl ich es gar nicht will, tue ich es – aus Angst, dass niemand bleibt.

Ich laufe oft durch meinen Alltag mit einem ständigen Widerspruch im Kopf.
Ich will verstanden werden – wirklich verstanden.
Nicht durch das Gefühl, mich ständig erklären zu müssen,
sondern durch echtes Zuhören.
Nicht mit einem „Ach so, das liegt an deiner Diagnose“,
oder einem halbherzigen „Ja, ich weiß ja, dass Borderliner anders sind.“
Und auch nicht mit einem „Hmm… ja, kann ich schon nachvollziehen. Irgendwie.“

Ich wünsche mir, dass jemand meine Gedanken liest, bevor ich sie ausspreche.
Dass jemand spürt, was ich fühle – und ich mich nicht ständig erklären muss.
Ich fände es großartig, wenn jemand wirklich zuhört – nicht nur oberflächlich.
Und trotzdem…
fange ich immer wieder an, genau das zu tun:
mich zu erklären. Oder zu rechtfertigen.

Nicht, weil ich es will.
Sondern, weil ich oft glaube, dass sonst niemand bleibt.
Vielleicht ist mein Schweigen zu laut.
Vielleicht wirkt es wie Desinteresse.
Vielleicht trägt mein inneres Chaos keinen Namen, wenn ich es nicht selbst benenne.

In mir herrscht oft ein Sturm.
Ich möchte mich mitteilen.
Egal, ob positiv oder negativ.
Ich bin ehrlich und stehe zu dem, was ich fühle.
Aber ich will es nicht alleine leben.

Es ist kein bewusster Versuch, mich zu rechtfertigen.
Ich wache nicht morgens auf und denke: „Heute erklär ich mich mal wieder zu Tode.“

Es passiert.
Ganz von selbst.
Zwischen Atemzügen und Halbsätzen.
Zwischen Blicken, die mich nicht ganz erreichen,
und Reaktionen, die mir sagen:
„So wie du bist, bist du zu viel. Oder zu wenig. Oder zu anders.“

Und vielleicht – vielleicht tue ich es nur, weil ich gesehen werden will.
Weil ich das Gefühl habe, dass mein Schweigen sonst übertönt wird
von allem, was ich nicht bin.

Vielleicht ist Erklären mein verzweifelter Versuch, bleiben zu dürfen.

Die unsichtbare Last des Erklärens

Es sind nicht die großen Katastrophen, die mich jeden Tag fordern.
Es sind die kleinen Dinge.
Die, die andere möglicherweise gar nicht bemerken.

Wenn ich eine Nachricht zu spät beantworte –
erkläre ich mich.
Anders würde ich es gar nicht aushalten.

Wenn ich zu schnell oder falsch reagiere –
erkläre ich mich.
Sonst würde ich mich selbst quälen.

Wenn ich zu gut gelaunt bin –
erkläre ich mich.
Weil ich Angst habe, dass es falsch ankommt.

Wenn ich plötzlich ruhig bin. Oder zu laut. Oder zu ehrlich.

Ich erkläre. Mich. Immer.

Nicht, weil ich schuldig bin.
Sondern, weil ich ständig glaube, dass mein Verhalten ohne Kontext falsch verstanden wird.
Weil ich es so gewohnt bin, mich ständig erklären zu müssen – auch wenn’s niemand verlangt.

Ich sage Sätze wie:
„Ich bin grad etwas überreizt, aber es hat nichts mit dir zu tun.“
„Ich wollte dich nicht stören. Tut mir leid.“
„Ich wollte dir nun nicht auf die Nerven gehen.“
„Sorry, das war jetzt komisch formuliert.“

Und manchmal übersehe ich, dass ich es bei manchen vielleicht gar nicht müsste –
aber ich tu’s trotzdem. Weil ich den Unterschied oft nicht mehr spüre.

Aber vielleicht ist es auch Gewohnheit.
Schutzmechanismus.
Oder einfach Angst.

Angst, dass wenn ich es nicht tue, ich wieder missverstanden werde.
Dass jemand denkt:
„Die spinnt doch wieder…“

Und auch, wenn ich mich zurückziehe,
schiebe ich sofort eine Erklärung hinterher.

Wenn ich bleibe,
suche ich nach Worten, die mein Bleiben entschuldigen.

„Ich trage eine unsichtbare Verantwortung, mich selbst für andere lesbar zu machen.“

Dabei will ich eigentlich nur da sein dürfen –
ohne Bedienungsanleitung.

Worte als Schutz – und als Risiko, falsch verstanden zu werden

Worte sind mein Werkzeug.
Mein Schutzschild.
Aber manchmal auch mein größtes Risiko.

Ich denke viel, bevor ich spreche –
und manchmal denke ich sogar so viel,
dass die Worte, die rauskommen, gar nicht mehr das sind, was ich wirklich fühle.

Ich formuliere um. Ich dämpfe ab.
Ich lege Pausen zwischen Worte,
die eigentlich laut sein wollen.

Nicht, weil ich lügen will –
sondern, weil ich nicht verletzen will.

Und weil ich Angst habe –
andere mit meiner rohen Art zu treffen.
Sie von mir wegzustoßen. Sie zu verlieren.

Ich will nicht falsch verstanden werden.
Und ich will mich auch nicht wieder und wieder entschuldigen –
für Sätze, die eigentlich nur ehrlich waren.

„Ich rede, weil ich nicht will, dass du gehst –
aber jedes Wort macht mir Angst,
dass du genau deshalb gehst.“

Worte sind Brücken. Aber sie können auch bröckeln.
Und wenn ich dabei nur ein klein wenig abrutsche –
fühlt es sich an, als hätte ich alles zerstört.

Mal wieder.

Also baue ich noch mehr Brücken.
Mit Ausweichformulierungen.
Mit Klammern, Emojis, mit: „Ich meinte das nicht so.“

Nur, damit niemand stürzt.
Auch wenn ich längst diejenige bin, die wackelt.

Was ich mir wünsche: Nähe ohne ständiges Erklären

Ich brauche definitiv keine Sonderbehandlung.
Kein Mitleid. Keine Phrasen.
Und ich will erst recht nicht in Watte gepackt werden.

Das Einzige, was ich will, ist: Ich selbst sein dürfen.
Ohne mich klein zu machen.
Ohne mich zu entschuldigen,
für Gefühle, die selbst mir manchmal zu laut
und für andere zu unbequem sind.

Ich will bleiben dürfen – auch wenn ich mich zurückziehe.
Wissen, dass ich dann für andere trotzdem nicht verschwinde.
Gehört werden, auch wenn ich leise bin.
Verstanden werden, ohne dass ich ständig beweisen muss,
dass ich’s wert bin.

„Ich will nicht idealisiert werden –
ich will einfach nur nicht jeden Tag darum kämpfen müssen,
existieren zu dürfen.“

Verstehen beginnt nicht bei: „Ich weiß, wie du dich fühlst.“
Verstehen beginnt bei: „Ich bin da. Und ich gehe nicht. Egal, was passiert.“

Ich will keine Lösungen.
Ich will auch keine Selbsthilfe-Buchtipps.
Ich will Nähe, die nicht an Bedingungen geknüpft ist.

Ich möchte einfach sagen dürfen:
„So bin ich heute.“
Und jemand darf nicken.

Und bleiben.
Einfach bleiben.

Der Weg zurück zu mir – ohne ständige Rechtfertigung

Vielleicht liegt der Schlüssel nicht darin, weniger zu sagen –
sondern darin, mir selbst zuerst zu glauben.

Und mich selbst zu akzeptieren, wie ich bin.

Dass mein Gefühl existieren darf,
auch wenn es unbequem ist.
Dass meine Reaktion okay ist,
auch wenn sie nicht in jede Welt passt.

Vielleicht muss ich nicht aufhören zu erklären –
sondern anfangen, mich nicht dafür zu verurteilen.

Vielleicht darf ich mich zeigen.
Mit allem. Mit Lautstärke. Mit Schweigen.
Mit Rückzug. Mit Nähe. Mit Chaos. Mit Klarheit.

Und vielleicht –
vielleicht ist genau da der Anfang.
Nicht von dem, was andere sehen sollen.
Sondern von dem, was ich endlich sehen will:

„Ich bin nicht zu kompliziert.
Ich bin einfach nur tiefer verdrahtet.“

Und vielleicht, nur vielleicht…
findet sich jemand, der genau das spürt –
ohne dass ich ein einziges Wort sage.

Und vielleicht… darf ich irgendwann einfach sein.
Ohne mich ständig erklären zu müssen.
Und trotzdem nicht verloren zu gehen.

Was passiert, wenn digitale Nähe echter wirkt, als zwischenmenschliche?

Mehr Infos über Borderline findest du u.a. auch hier im Beitrag.

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