Leben mit Borderline – Zwischen Zersplittern und Zusammenhalten
Yvi ist laut. Yvi ist leise. Yvi lacht. Und Yvi weint. Alles zugleich. Ich lebe mit diesen Extremen schon sehr lange und möchte andere näher heranführen, wie sich ein Leben mit Borderline anfühlt.
⚠️ Triggerwarnung: In diesem Beitrag geht es um emotionale Instabilität, Selbstzweifel und psychische Belastung. Bitte achte auf dich, wenn du weiterliest. ⚠️
Manchmal ist es, als würden in meinem Körper zwei verschiedene Seelen leben. Während die eine still ist und alleine sein möchte, schreit die andere laut heraus und sucht nach Verbindung. Die eine will kontrollieren, aber die andere versucht endlich loszulassen. Die eine wünscht zu sterben, doch die andere sehnt sich nach dem Leben. In mir herrscht so oft ein endloser Krieg, da sich diese beiden Seelen einander bekämpfen. Doch ich habe das Gefühl, ich würde verlieren. Egal, welche Seele den Krieg gewinnt.
Leben mit Borderline fühlt sich manchmal an, als würde ich barfuß auf einem Drahtseil laufen. Doch den Abgrund sieht niemand.
Manchmal bin ich gleichzeitig zu viel, aber niemals genug. Ich denke in Extremen. Ich fühle in Tsunamis.
Und während ich lache, frage ich, wie lange ich mich selbst noch aushalte.
Ich weiß ehrlich nicht mehr, wann das alles angefangen hat. Mir war nur immer bewusst, dass ich anders bin.
Es fing schon im Teenageralter an – als ich Klingen über meine Haut tanzen ließ, nur um mich besser selbst spüren zu können.
Ich erinnere mich an die Blicke. Dieses „Die spinnt doch!“ Und dann – ab in die Psychiatrie. Damals war ich… 14? Vielleicht.
Von da an wurde vieles anders.
Therapien. Diagnosen. Und niemand wusste so recht, was mit mir los ist.
Viele Jahre später warf mir mein Arzt schließlich das Wort „Borderline“ an den Kopf.
Ich lachte. Modekrankheit. So ein Schwachsinn.
Also lebte ich einfach weiter – mit all meinen Ecken. Und hielt irgendwie aus.
Bis zu dem Punkt, an dem meine Welt unter mir zusammenbrach.
Und ich mit vollem Karacho ins Nichts fiel.
Das war vor etwa zehn Jahren.
Als damals meine Tochter Pia in eine Wohngruppe ziehen musste, weil ich nicht einmal mehr in der Lage war, mich um mich selbst zu kümmern – da wurde ich… wach?
Ich weiß nicht, ob es ein Erwachen war.
Vielleicht eher ein letzter Aufschrei aus mir selbst.
Ich nahm das Angebot an, mich in einer Spezialklinik testen zu lassen.
Und zum ersten Mal in meinem Leben war ich bereit: eine Diagnose anzunehmen. Mich auf eine intensive Therapie einzulassen.
Ich beschäftigte mich lange mit der DBT – Dialektisch-Behavioralen Therapie – und lernte Schritt für Schritt, wie ich den Alltag und vor allem das Leben mit Borderline trotz aller Hürden gestalten kann.
Heute sieht mein Leben mit Borderline anders aus. Nicht leicht – aber stabiler.
Ich habe gelernt, den Sturm zu lesen, bevor er losbricht.
Ich erkenne die ersten Anzeichen – und greife zu den Strategien, die ich mir über Jahre aufgebaut habe.
Struktur ist mein Halt. Und manchmal ist es einfach ein stiller Moment, in dem ich mir selbst erlaube, nur zu sein – ohne perfekt zu funktionieren.
Selbstschutz ist kein Rückzug – sondern Überleben mit Stil.
Mein Alltag unterscheidet sich heute kaum noch von dem sogenannter „gesunder“ Menschen.
Ich lebe. Ich atme. Ich fühle.
Der Unterschied? Ich bin achtsam mit mir.
Ich nehme meine Gefühle ernst – auch dann, wenn es viele auf einmal sind.
Früher hätte mich das überfordert. Heute ziehe ich mich ein Stück zurück, werde still, sortiere bewusst.
Ja, manchmal schließe ich kurz die Außenwelt aus.
Nicht aus Angst. Sondern aus Fürsorge – für mich.
Weil ich Priorität habe.
Nicht egoistisch – sondern klar.
Ich will anderen nicht mehr wehtun durch mein Verhalten.
Und vor allem: Ich will mir selbst nicht mehr wehtun.
Ich habe gelernt, dass ein Leben mit Borderline nicht schlimm ist.
Und so seltsam es für manche klingen mag:
Ich bin stolz auf mich.
Stolz auf mein Borderline. Denn genau das macht mich aus.
Ich liebe es, so intensiv zu fühlen.
Dinge zu spüren, von denen andere nur träumen.
Ich sehe das heute als Gabe.
Und ich will nie mehr ohne sie leben.
Vielleicht habe ich nur wenige soziale Kontakte.
Aber das hat heute nichts mehr mit Angst zu tun.
Mir geht es gut. So, wie ich lebe. Weil ich es mir erlaubt habe. Weil ich die Diagnose nicht mehr fürchte – sondern angenommen habe.
Meine Welt ist nicht mehr nur schwarz oder weiß.
Ich habe die Grautöne entdeckt – und die Farben dazwischen.
Ich weiß, dass ich geliebt werde.
Und – das ist vielleicht das Wichtigste – ich liebe auch endlich wieder mich selbst.
Ich bin dankbar.
Für alles, was ich überlebt habe.
Für alles, was ich geworden bin.
Ich bin nicht geheilt. Ich bin nicht fertig.
Aber ich bin ich. Und das reicht.
Leben mit Borderline heißt nicht, dass ich zerbrochen bin.
Es heißt, dass ich gekämpft habe – und weiterkämpfe.
Es heißt, dass ich heute weiß, wie ich mich auffange, bevor ich falle.
Es heißt, dass ich mich selbst nicht mehr bekämpfe – sondern lerne, mit mir zu leben.
Mit allen Stimmen, allen Farben, allen Stürmen in mir.
Ich bin nicht weniger wert, weil ich mehr fühle.
Und wenn du das hier liest und dich wiedererkennst – dann weißt du jetzt:
Du bist nicht allein.
Ich trage keine Maske mehr. Ich bin einfach nur ich.
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