Borderline fühlt sich oft an wie ein Kampf ohne Regeln.
Aber in Spielen gab es Missionen. Ziele. Ein Zurück zu mir.
Natürlich habe ich nicht immer mit der Diagnose Borderline gelebt.
Doch ich fing früh an, mich in verpixelte Welten zu verlieben – und manchmal auch, mich darin zu verlieren.
Früher war es eine Flucht aus dem Alltag, wenn das Teenagerleben nicht so lief, wie man es sich wünschte. Ganz normal, würde ich behaupten.
Vor etwa zehn Jahren bekam ich dann den „Stempel“.
Die Diagnose, die drohte, mein Leben zu verändern.
Ein Zeitpunkt, an dem es mir sehr schlecht ging.
Spiele waren immer da. Mal dieses, mal jenes.
Alles, was mir gerade in die Finger fiel.
Doch vor rund acht Jahren entdeckte ich dann World of Warcraft.
Neugierig streifte ich durch die Welt von Azeroth. Im echten Leben war ich einsam.
Keine sozialen Kontakte – außer meiner Familie. Und auch die reichten nicht aus, um einen echten Heilungsprozess zu starten.
Meine Angst begleitete mich auch hier – denn WoW spielte ich mit anderen Menschen.
Ich hatte große Angst zu versagen, und musste täglich mit diesem inneren Druck umgehen.
Aber ich lernte, das Spiel zu lieben.
Und ich fand tatsächlich Menschen, die mir keine Angst machten.
Ich erkannte: Ich muss wachsen.
Und dass ich das sogar kann.
Borderline ist für mich kein Begriff aus dem Lehrbuch. Es ist ein ständiges Spüren – zu viel, zu tief, zu schnell.
Manchmal bin ich ganz oben – voller Energie, Ideen, Gefühlsexplosion.
Und kurz darauf so leer, dass selbst Atmen Kraft kostet.
Es fühlt sich an, als würde mein Innerstes in alle Richtungen reißen – während ich versuche, nach außen ruhig und funktionierend zu wirken.
Ich will es oft allen recht machen.
Dabei verliere ich mich selbst.
Wenn mich jemand fragt, wie sich Borderline anfühlt…
Ich fühle sehr intensiv.
Ich fühle meine Gefühle – und die der Menschen um mich herum.
Ich sauge sie auf.
Dieser Punkt ist bei mir (leider) besonders sensibel und stark ausgeprägt.
Ich vergleiche es gerne so:
Deine Lieblingstasse fällt auf den Boden und zerspringt in Scherben.
Du siehst sie an, bist vielleicht traurig – aber du weißt, dass du dir eine neue kaufen kannst.
Meine Lieblingstasse fällt – und unter mir zerbricht die Welt.
Sie droht unterzugehen. Und ich versinke – emotional – mitten im Fall.
Du schaust aus dem Fenster, siehst die Sonne, ein paar blaue Wolken am Himmel.
Du denkst: Wunderbar. Heute wird ein schöner Tag.
Ich schaue hinaus – sehe dasselbe Bild.
Doch in mir wird etwas geweckt. Mein Herz beginnt heftig zu schlagen, und das Gefühl trifft mich mit der Wucht einer ersten großen Liebe.
Und manchmal… fühle ich beides. Gleichzeitig.
Meine Beziehungen – auch zu mir selbst – sind durchzogen von Unsicherheit, Sehnsucht, Rückzug und Hoffnung.
Ich sehne mich nach Nähe, habe aber gleichzeitig Angst vor ihr.
Und mittendrin stehe ich – mit einem Herzen, das zu laut fühlt, und einem Kopf, der alles analysieren will, um es irgendwie unter Kontrolle zu bringen.
Die Spiele als Anker
World of Warcraft kam in mein Leben, als vieles aus den Fugen geraten war.
In der echten Welt fühlte ich mich oft verloren – doch in Azeroth gab es Quests, Aufgaben, ein Ziel.
Ich war ein Charakter. Ich hatte eine Rolle. Und das allein gab mir Halt.
Die Welt war riesig – und doch kontrollierbar.
Ich konnte entscheiden, wohin ich gehe.
Ich konnte ausblenden, was mich überforderte.
Ich konnte entdecken, wer ich vielleicht bin.
Auch wenn ich anfangs Angst hatte – vor den Mitspielern,
vor Fehlern, vor Wertung – irgendwann fand ich Menschen, die mir keine Angst machten.
Die mich einfach spielen ließen.
WoW war nicht die Lösung.
Aber es war ein Ort, an dem ich sein durfte.
Hearthstone war anders. Kleiner. Taktischer. Kontrollierter.
Ein Spiel, das meinen Kopf forderte – und ablenkte.
Ich mochte die Strategie, das Planen, das Vorausschauen.
Und dann war da noch der Stream.
Ich streamte Hearthstone – öffentlich. Sichtbar. Ich wollte zeigen, was ich kann – aber auch dazugehören.
Und das bedeutete Druck.
Borderline und Sichtbarkeit sind ein komplexes Paar.
Einerseits das starke Verlangen, gesehen zu werden. Andererseits die Angst, nicht genug zu sein.
Ich wollte gefallen. Ich wollte es richtig machen. Und manchmal… vergaß ich mich dabei selbst.
Trotzdem gab es auch hier Lichtblicke.
Ein Match, das gut lief. Ein Zuschauer, der blieb. Ein Moment, in dem ich mir selbst zeigen konnte:
Du hast Kontrolle. Du darfst existieren.
Detroit war kein Spiel. Es war ein Spiegel.
Als ich Connor begegnete, traf ich auf einen Charakter, der funktioniert – aber innerlich zerrissen ist.
Er will verstehen. Er will fühlen. Er will richtig handeln – in einer Welt, die ständig das Gegenteil von ihm verlangt.
Ich habe mitgefiebert. Ich habe Entscheidungen getroffen – und daran gezweifelt.
Ich habe gelitten. Geweint. Gehofft.
Und manchmal fühlte es sich an, als würde dieses Spiel meine eigene Geschichte erzählen.
Connor wurde mehr als eine Figur.
Er wurde zu einem Gefühl.
Und „abzuweichen“ wurde plötzlich nicht nur ein Spielziel – es wurde eine Frage, die ich mir selbst stellte:
„Was, wenn ich auch mehr bin, als das, was man mir sagt zu sein?“
Was Gaming nicht ersetzt – aber was es trotzdem heilt
Spiele ersetzen keine Therapie. Sie sind keine Lösung für tiefsitzende Wunden.
Aber sie können etwas anderes sein: Ein Raum, in dem ich atmen kann.
Wenn die Welt zu laut ist – wenn Menschen überfordern, wenn ich selbst nicht weiß, wie ich mit mir umgehen soll –
dann war Gaming oft mein sicherster Ort.
In Spielen darf ich entscheiden.
Ohne bewertet zu werden. Ohne zu erklären, warum ich gerade fühle, wie ich fühle. Ohne Angst, jemanden zu überfordern.
Dort bin ich Teil einer Geschichte, aber ich darf selbst bestimmen, wann ich einsteige, wann ich loslasse, und wann ich einfach nur sein will.
Emotionen in Games fühlen sich oft sicherer an als im echten Leben.
Weil sie einen Rahmen haben.
Weil ich sie kontrollieren kann – wenigstens ein bisschen.
Weil sie mich durchfluten dürfen, ohne dass jemand danebensteht und sagt: „Du übertreibst.“
Und manchmal ist es genau das,
was ich brauche, um nicht unterzugehen.
Fazit & Ausblick
Spiele haben mein Leben nicht gerettet.
Aber sie haben mir Momente geschenkt, in denen ich durchatmen konnte.
In denen ich nicht kämpfen musste, sondern einfach spielen durfte.
Ich habe durch sie gelernt, dass ich nicht „zu viel“ bin.
Dass selbst in einer virtuellen Welt jemand wie ich Platz hat – mit all meinen Gedanken, meinen Reaktionen, meinen Schwächen.
Heute sehe ich Games nicht mehr nur als Zeitvertreib. Sondern als Teil meines Weges.
Ein Weg, auf dem ich mich selbst besser kennengelernt habe.
In Pixeln. In Entscheidungen. In Emotionen.
Vielleicht können Spiele die Welt nicht heilen.
Aber sie können der Anfang sein, an dem du beginnst, dich selbst zu verstehen.
Und manchmal reicht genau das, um nicht aufzugeben.